ÖKT 2021: "Schaut hin" – Perspektiven von Hermann Gröhe

Zum Auftakt des 3. Ökumenischen Kirchentages 2021 (ÖKT) trafen sich Hermann Gröhe und CBM-Mitarbeiter Jan-Thilo Klimisch zu einem digitalen Live-Gespräch.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewährte dabei persönliche Einblicke in seine christlichen, wie auch in seine entwicklungspolitischen Überzeugungen – nicht zuletzt mit Blick auf Inklusion von Menschen mit Behinderungen und sein Erleben eines Projektbesuchs in Äthiopien.

Jan-Thilo Klimisch befragte Hermann Gröhe zu ...

Wir müssen lernen, verschiedene Wahrnehmungen zusammenzuführen.

… den Motiven seines christlichen und politischen Engagements:

"Dass für mich selbst der christliche Glaube prägend in meinem Leben geworden ist, mir Orientierung, Halt, Gottvertrauen gibt, das hängt sehr mit meiner elterlichen Prägung zusammen. Zum Abendessen gehörte in meinem Elternhaus aber nicht nur das Tischgebet, sondern auch gemeinsames Nachrichtensehen im Fernsehen. Die Frage ‚Was hat unser Glaube zu tun mit unserem politischen Engagement?‘ ist für mich seit meiner Jugend zu einer Lebens-Melodie geworden: Es geht mir darum, nicht immer nur zu fragen ‚Was bedeutet für Dein Leben Glauben an Gott, Vertrauen auf Jesus Christus, die Gebote der Bibel?‘ Sondern vielmehr auch die Frage: ‚Was ist damit auch für ein Auftrag verbunden, diese Welt mitzugestalten?‘. Wir können nicht von der Menschenfreundlichkeit Gottes reden, wenn wir nicht selbst an einer menschlichen Welt bauen.“

… seinem Verständnis von Ökumene:

"Ökumene meint zweierlei: Miteinander von Christen unterschiedlicher Konfessionen, aber Ökumene meint eben auch den Erdkreis. Ich bin durch zwei super erfolgreiche ökumenische Projekte geprägt. Das eine ist die Ehe mit einer katholischen Frau, die hält immerhin schon 30 Jahre, und das zweite ist die CDU. Alle, denen es heute darum geht, christlichen Werten in der Politik Geltung zu verschaffen, sage ich, kein Mensch versteht, wenn wir das nach konfessionellen Grenzen getrennt tun."

… dem Leitwort des Ökumenischen Kirchentages 2021 "Schaut hin" aus dem Markus-Evangelium (Mk 6,38):

"Hinsehen ist hier ja sicher ganz umfassend gemeint im Sinne von Wahrnehmen. Und da ist das Sehen ganz wichtig – das empathische Wahrnehmen auf Augenhöhe. Ich verstehe das als Aufforderung, genau hinzusehen, die Welt vielleicht mal mit den Augen eines anderen zu betrachten, also mich darin hineinzuversetzen. Wie erlebt ein Mensch am Rande der Gesellschaft diese Gesellschaft? Wir müssen lernen, verschiedene Wahrnehmungen zusammenzuführen."

… den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Länder des globalen Südens:

"Pandemien legen schonungslos Ungleichheiten offen. In Afrika, um mal diesen Kontinent rauszunehmen, wird auf brutale Weise deutlich, wo kein Gesundheitswesen funktioniert. Und natürlich ist es auch so, dass die Lockdown-Maßnahmen dort viel dramatischere Nebenwirkungen haben. Corona bringt zugleich eine Hungerkatastrophe und eine Bildungskatastrophe mit sich. Wir haben gelernt, die Pandemie ist eine solche Gefahr, dass sie erst besiegt ist, wenn sie überall besiegt worden ist. Das ist humanitär geboten, aber es liegt auch in unserem ureigenen Interesse. Wir haben eine Pflicht und wir werden auch noch mehr tun müssen, damit Impfstoff auch in Afrika, in Asien, in Lateinamerika allen Menschen zur Verfügung gestellt wird."

… der Verwirklichung von Inklusion in den ärmsten Ländern der Welt:

"Inklusion betont, dass jeder Mensch den gleichen Wert hat. Die Weltbank schätzt, dass von einer Milliarde Menschen mit einer Behinderung 80 % in ärmeren Ländern leben. Es gibt kein wichtigeres Grundprinzip des christlichen Glaubens mit politischer Relevanz, als dass die Gotteskindschaft, die Gottesebenbildlichkeit in jedem Menschen zu sehen ist, egal was sie oder er glaubt, egal welche Hautfarbe, Gesundheit, Behinderung er oder sie hat. Und deswegen muss die Botschaft inklusiv sein. Unser Tun ist es viel zu häufig noch nicht. Und wenn wir in anderen Ländern ganz neue Infrastruktur, auch Bildungsinfrastruktur aufbauen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, dann muss eben jedes Mal Inklusion von Anfang an mitgedacht werden."

… seinen Eindrücken beim Besuch einer CBM-geförderten Hals-Nasen-Ohren-Klinik in Äthiopien:

"Das ist ein ganz starkes Beispiel dafür, wie sich Lebenschancen durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln von Krankheiten verändern lassen, gerade in armen Ländern. Da werden die Weichen für ein ganzes Leben neu gestellt. Das Bewegendste für mich war die lokalen Mitarbeitenden vor Ort zu erleben in ihrer Freude und ihrem Stolz, helfen zu können. Das werde ich nicht vergessen. Das geht besonders nah und war ein wunderschönes Erlebnis. Es gab mal einen Kirchentags-Slogan: "Ihr sollt ein Segen sein". Diese Menschen erfahren genau das: Ich kann ein Segen sein."