
Bensheim/Wutha-Farnroda, 31. Mai 2022. Hildegard (84) hat Demenz, ist internetaffin und vor allem: Sie ist fiktiv. Vivien Zeihs (15) erfindet die Seniorin, um sich besser in die Zielgruppe ihres Projekts hineinzuversetzen. Sie entwickelt eine Internetanwendung, die das Langzeitgedächtnis von Menschen mit Demenz trainiert. "The Dementia Web App – eine Web-App, welche die Altersheime revolutioniert" heißt die Anwendung. Dafür erhält die Schülerin des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Ruhla den Sonderpreis der Christoffel-Blindenmission (CBM) "Innovationen für Menschen mit Behinderungen". Der Preis wird im Rahmen des Landeswettbewerbs Thüringen der Stiftung Jugend forscht verliehen.
Bei einem Praktikum auf der Demenzstation eines Altersheims taucht die Jungforscherin in die Welt von Menschen mit nachlassender Gedächtniskraft ein. Vivien lernt die Arbeit mit Jahreszyklen kennen. Dabei werden Erinnerungen mit Jahreszeiten oder Monaten verknüpft. Das hilft Betroffenen, sich Erlebnisse ins Gedächtnis zu rufen und erleichtert ihnen, sie zeitlich einzuordnen. Um Erkrankte, ihre Angehörige und Pflegekräfte zu unterstützen, entwickelt die Gymnasiastin eine Web-App.
Erinnerung und Freude per Mausklick
Die Web-App ist eine interaktive Homepage, die den Jahreskreis darstellt. Ihre Hauptseite ist kreisförmig angelegt. Wie auf einer Uhr reihen sich die Monate um den Kreis. Jeder Monat lässt sich anklicken. Dann öffnet sich die virtuelle Schatzkiste mit Erinnerungen. Das können Urlaubsfotos im August oder Weihnachtslieder im Advent sein. Es ist bekannt, dass Musik ein wunderbares Mittel gegen den Gedächtnisverlust ist. Sie aktiviert verschiedene Hirnareale. Neben bereits installierten Angeboten ist es möglich, die Web-App mit individuellen Erinnerungen zu bestücken. Familienfotos helfen, dem Schwinden der persönlichen Identität entgegenzuwirken.
Diese Erfahrung macht Vivien auch mit einer älteren Probandin, die an Demenz erkrankt ist. Als ein Weihnachtslied erklingt, sprudeln die Erinnerungen – etwa an die erste handgemachte Puppe unterm Christbaum im Jahr 1950. Mit jedem Treffen fällt der Seniorin die Bedienung der Web-App leichter. Ein echter Lernerfolg!
Bald soll die Anwendung als Android-App erscheinen, die heruntergeladen werden kann und auf dem Smartphone leicht zu bedienen ist. CBM-Vorstand Dr. Rainer Brockhaus: "Das Problem des Vergessens liegt nicht allein bei den Betroffenen. Oft werden auch die Betroffenen selbst von der Gesellschaft vergessen. Viviens Erfindung kann helfen, Symptome zu lindern und die soziale Einbindung der Menschen zu erleichtern." Laut der deutschen Alzheimer Gesellschaft sind weltweit 55 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen, zwei Drittel davon in Entwicklungsländern. "Dort helfen wir in CBM-geförderten Projekten auch Menschen mit psychosozialen oder intellektuellen Behinderungen", so Brockhaus. "Dazu zählt, dass wir sie unterstützen, ein gleichwertiger Teil der Gemeinschaft zu sein. Denn nur wer frei von Ausgrenzung ist, kann in Würde leben und arbeiten."
Landessieger haben Chance auf CBM-Bundespreis
Der CBM-Sonderpreis zeichnet jedes Jahr kreative Studien und Erfindungen aus, die bei Jugend forscht eingereicht werden. Als Organisation für Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern legt die CBM Wert darauf, dass die Arbeiten gerade ihnen den Alltag erleichtern können. Denn von den eine Milliarde Menschen mit Behinderungen leben 80 Prozent in den ärmsten Regionen der Welt. Prämiert werden außerdem Arbeiten, die sich mit dem Zusammenhang von Krankheit und Behinderung befassen oder einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit leisten. Alle ausgezeichneten Landessieger haben die Chance, den von der CBM ausgeschriebenen Bundessonderpreis zu erhalten. Dieser ist mit 300 Euro dotiert.
Über die CBM
Die Christoffel-Blindenmission (CBM) zählt zu den international führenden Organisationen für inklusive Entwicklungszusammenarbeit. Sie unterstützt Menschen mit Behinderungen in den ärmsten Ländern der Welt – und das seit mehr als 110 Jahren. Gemeinsam mit ihren lokalen Partnern sorgt sie dafür, dass sich das Leben von Menschen mit Behinderungen grundlegend und dauerhaft verbessert. Sie leistet medizinische Hilfe und setzt sich für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ein. Ziel ist eine inklusive Welt, in der Menschen mit und ohne Behinderungen ihre Fähigkeiten einbringen können und niemand zurückgelassen wird. Im vergangenen Jahr förderte die CBM 460 Projekte in 48 Ländern.