Bensheim/Berlin, 12. August 2022. Ein Teil Wasser, zwei Teile Sonnenblumenöl, Alginat, Stärke, Nano-Cellulose: Das klingt wie ein Gericht aus der molekularen Küche und wäre wahrscheinlich sogar essbar. Dafür ist die Mixtur aber nicht gedacht. Sie soll Leben retten. Sarah Sommer (17) und Mark Kaplunow (18) entwickeln das Rezept, mit dem sich per 3-D-Druck das Gerüst künstlicher Organe herstellen lässt. Sie forschen an einer biologischen Alternative zu bisherigen Drucktinten. Dafür erhält das Jungforscher-Team des Romain-Rolland-Gymnasiums Berlin den Sonderpreis der Christoffel-Blindenmission (CBM) „Innovationen für Menschen mit Behinderungen“. Der Preis wird im Rahmen des Landeswettbewerbs Berlin der Stiftung Jugend forscht verliehen.
Sommer und Kaplunow sind fasziniert von der Möglichkeit, mit dem 3-D-Drucker dringend benötigte menschliche Organe zu erschaffen. Mit dem Ziel einer rein biologischen Drucktinte setzen die zwei sich kritisch mit der bekannten Grundrezeptur auseinander. Bisher kommt zur Verbindung öliger und wässriger Bestandteile der Tinte ein erdölbasierter Emulgator zum Einsatz. Cellulose gibt in der Natur den Zellwänden von Pflanzen Stabilität und kann viel Wasser binden. Sie ist reichlich vorhanden, biologisch abbaubar und nachhaltig. Am Max-Planck-Institut werden daraus Cellulose-Nano-Kristalle (CNC) erzeugt. Die beiden Forschenden kontaktieren das Institut, um die CNC für ihre Arbeit zu bekommen. Und sie entdecken, dass die CNC die dauerhafte Vermischung ermöglichen – ähnlich dem erdölbasierten Emulgator.
Weder zu fest noch zu flüssig
Die Drucktinte muss flüssig genug sein, um die Düsen des 3-D-Druckers zu passieren, darf aber danach nicht zerlaufen. Das entstehende Gewebegerüst muss formstabil und elastisch sein. In einem weiteren Schritt könnten dann menschliche Zellkulturen darauf angesiedelt werden. Die beiden Jungforscher testen 48 unterschiedlich zusammengesetzte Gels und finden heraus, dass Gefriertrocknen das Modell weich und wohldefiniert werden lässt. Schließlich schicken sie die beste Mischung nach Kanada. Daraus entsteht an der University of British Columbia in Vancouver in einem besonders schonenden
3-D-Druckverfahren eine schwammartige, gefriergetrocknete Ohrmuschel. Die könnte mit lebendigen Zellen besiedelt zu einer biologischen Prothese werden. Das ist das Ziel des Duos.
CBM-Vorstand Dr. Rainer Brockhaus: „Zu viele Menschen sterben, weil sie vergeblich auf ein Spenderorgan warten. Daher ist diese Forschung so wichtig. Sarah und Mark zeigen, dass eine gute Idee in Kooperation mit den entsprechenden Institutionen schnell große Fortschritte machen kann. Bei der Arbeit in unseren Projektländern erleben wir das immer wieder, wenn wir mit lokalen Partnern zusammenarbeiten. Gemeinsam erleichtern wir Menschen mit Behinderungen den Alltag und leisten wichtige medizinische Hilfe.“ Brockhaus ergänzt: „Das Forscher-Duo berücksichtigt ökologische Aspekte und verfolgt damit einen ganzheitlichen Ansatz. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit ist dies ein wichtiger Erfolgsfaktor.“
Landessieger haben Chance auf CBM-Bundespreis
Der CBM-Sonderpreis zeichnet jedes Jahr kreative Studien und Erfindungen aus, die bei Jugend forscht eingereicht werden. Als Organisation für Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern legt die CBM Wert darauf, dass die Arbeiten gerade ihnen den Alltag erleichtern können. Denn von den eine Milliarde Menschen mit Behinderungen leben 80 Prozent in den ärmsten Regionen der Welt. Prämiert werden außerdem Arbeiten, die sich mit dem Zusammenhang von Krankheit und Behinderung befassen oder einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit leisten. Alle ausgezeichneten Landessieger haben die Chance, den von der CBM ausgeschriebenen Bundessonderpreis zu erhalten. Dieser ist mit 300 Euro dotiert.
Über die CBM
Die Christoffel-Blindenmission (CBM) zählt zu den international führenden Organisationen für inklusive Entwicklungszusammenarbeit. Sie unterstützt Menschen mit Behinderungen in den ärmsten Ländern der Welt – und das seit mehr als 110 Jahren. Gemeinsam mit ihren lokalen Partnern sorgt sie dafür, dass sich das Leben von Menschen mit Behinderungen grundlegend und dauerhaft verbessert. Sie leistet medizinische Hilfe und setzt sich für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ein. Ziel ist eine inklusive Welt, in der Menschen mit und ohne Behinderungen ihre Fähigkeiten einbringen können und niemand zurückgelassen wird. Im vergangenen Jahr förderte die CBM 492 Projekte in 46 Ländern.